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Reden wir über Tabus!

Foto: Kristina Flour via unsplash

Tabus sind tägliche Begleiter unseres Lebens: in Form von familiären Tabus, solchen unseres Umfelds oder gesamtgesellschaftlichen Tabus. Die Zeit des Erwachsenwerdens, in der die Entwicklung, die Suche nach sich selbst und das Experimentieren im Vordergrund stehen, ist eine Zeit, in der sie oft in Frage gestellt und auch durchbrochen werden können.

Werner Prinzjakowitsch

Pädagogischer Bereichsleiter im Verein Wiener Jugendzentren

Tabus sind vielfältig: von der Berufswahl, die seit Generationen festgelegt ist und nicht geändert werden darf; über die Tatsache, dass der/die Älteste das Geschäft des Vaters übernimmt und niemand sonst, bis hin zur sexuellen Orientierung oder religiösen Einstellung und den daraus folgenden Handlungseinschränkungen. Tabus erfüllen verschiedenste psychische und/oder gesellschaftliche Funktionen. Seit Beginn der menschlichen Kommunikation gibt es sie, und solange kommuniziert wird, werden sie auch weiter bestehen.

Gerade in letzter Zeit erleben Tabus – nahezu paradox angesichts der ursprünglichen Intention – neue Blüte. Neue thematische und sprachliche Tabus werden ausgerufen, Diskurse und Meinungen, die als gutgemeintes Aufzeigen von Benachteiligungen gedacht sind, schlagen in eine andere Richtung aus, unterdrücken Tabus mitunter sogar bzw. erzeugen neue Einschränkungen und Regeln. Dabei gibt es noch nicht einmal für viele alte Tabus einen Ort der reflektierten Auseinandersetzung.

Es geht nicht um die generelle Abschaffung von Tabus, es geht um den Umgang damit. In einer Gesellschaft, in der Tabus nicht zumindest auf Ebene der Bürger:innen diskutiert werden können, übernehmen diese Diskussion Institutionen, manchmal auch aus der Politik, die sich nur vermeintlich den Themen stellen und sie nicht reflektieren. Stattdessen sollen schnelle Antworten und die unkompliziertesten Lösungen helfen. Es sind oft politisch-religiöse Eiferer, Verschwörungstheoretiker:innen und andere Verführer:innen. Sie sind offen für die Personen, mit denen die restliche Gesellschaft über ihre Themen nicht reden wollte, und haben schnell Lösungen und Schuldige bei der Hand. Doch am Ende entsteht dann meist ein noch engeres Korsett, voll mit neuen Tabus.

Die üblichen Instanzen der Sozialisation – etwa die Eltern von Jugendlichen – sind als erste Ansprechpartner:innen bei Tabuthemen wie der Sexualität häufig nicht die erste Wahl. Auch die Schule gerät schnell an ihre Grenzen, wenn es um mehr als „biologisch-technische“ Erklärungen geht, unabhängig vom Thema. Alles, was über die Vermittlung von Sachwissen und den Versuch einer kognitiven Verarbeitung hinausgeht, übersteigt zeitliche, didaktische und vor allem emotionale Ressourcen.

Die Auseinandersetzung mit Tabus ist heikel, insbesondere wenn diese in der Gruppe passieren oder an einem Ende der Kommunikation eine Person steht, (Elternteil, Lehrer:in usw.), die sich in einem hierarchischen Verhältnis zu den Jugendlichen befindet. Dem Alltagsleben entferntere Verwandte oder gute Freundinnen oder Freunde können hier stattdessen eingesetzt werden. Zu diesen Menschen kann es in vielen Punkten eine offenere Gesprächsbasis und vertrauliche Beziehung geben, weil das unmittelbare Verhältnis weniger von Abhängigkeit und Hierarchie geprägt ist. Es gibt aber auch Jugendliche, die niemanden haben um sich anzuvertrauen, insbesondere, wenn es um Themen geht, die in ihrem Umfeld mit Tabus behaftet sind.

Hier kann die professionelle, offene Jugendarbeit aushelfen. Vorausgesetzt, es gibt – wie z. B. in Wien – ein ausreichend großes Netzwerk an Einrichtungen und Angeboten, sodass zu möglichst vielen Jugendlichen von vornherein eine Basis an Vertrauen vorhanden ist.

Die Grundsätze der offenen Jugendarbeit sind prädestiniert für die Auseinandersetzung mit „heiklen“ Themen und Tabus. Es beginnt jedoch bei der Freiwilligkeit, denn Vertrauen kann nur auf dieser Basis aufgebaut werden. Diese Freiwilligkeit macht den großen Unterschied zu anderen Sozialisationsinstanzen wie Familie und Schule, die man sich nicht aussuchen kann.

Fachliches Wissen und Wissen um die persönlichen Lebenswelten Jugendlicher ist bei Jugendarbeitsprofis vorauszusetzen. Dabei geht es nicht darum, wer die cooleren Sprüche auf Lager hat und was man nun gemeinsam für „cringe“ befindet, sondern um das klare Interesse an den Jugendlichen. Bei der Themenwahl gibt es keine Tabus, eigene Grenzen müssen klar formuliert werden. Es ist die Kunst der Jugendarbeit, offen zu sein, den Gesprächskanal freizuhalten, aber trotzdem auch einmal zu widersprechen. Denn manchmal geht es dem Gegenüber mehr um das Austesten von Grenzen als um reflektierten Diskurs zu einem Tabuthema.

Nichtsdestotrotz heißt offene Jugendarbeit aus gutem Grund so: Sie ist bereit, sich offen mit allen Themen und Tabus auseinanderzusetzen. Darum hat sie eine wichtige und als Institution wohl einmalige Funktion, die manche Jugendliche vor falschen Verführern oder Verführerinnen bewahren will.

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